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Rennbericht Kassel-Marathon

von Marcel Bräutigam am 01. Juni 2015 • 0 Kommentare

Vierter Platz und bester Deutscher in 2:17:22h

Mitte Mai stand mein Frühjahrshöhepunkt bevor, der Marathon in Kassel.

Neue Bestzeiten in der Vorbereitung und neue Rekorde bei meinen Trainingsergebnissen ließen mich mit viel Selbstbewusstsein positiv auf die 42,195km blicken. Mein Ziel war eine Zeit von 2:16h, was umgerechnet 3:13-3:14min/km bedeutete.

Am Wettkampftag herrschten gute äußere Bedingungen mit Temperaturen von 11-14°C, etwas bewölktem Himmel und leicht böigem Westwind.

Direkt nach dem Start setzten sich die Topläufer aus Afrika und ich an die Spitze des Feldes und durchliefen den ersten Kilometer in 2:56min. Das schockierte mich etwas, da ich überrascht über das  Anfangstempo war, es sich aber bei mir nicht so schnell anfühlte.

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Kurz nach dem Start die Spitze des Kassel-Marathons 2015

 
Dennoch bremste ich meinen Tempomacher Patrick Kiplagat anschließend ein, welcher mit der Gruppe am liebsten weiter mitgelaufen wäre. Das hatte zur Folge, dass sich vier Athleten, darunter der Vorjahressieger Kiprotich Kirui aus Kenia sowie der Sieger des Jahres 2013 Hosea Tuei nach vorne absetzten. Mein Pacemaker bildete den Anfang der Verfolgergruppe, welcher noch Daniel Berye Yebekal und Dawit Kebede vom ausrichtenden Verein PSV Grün-Weiß Kassel sowie meiner Person angehörten.

Schnell waren die ersten 5km in 15:55min erreicht, etwas zügiger als von mir geplant.

Wie bereits erwähnt animierte ich Patrick mehrfach das Tempo zu drosseln, weil er deutlich schneller als geplant lief. Ich schloss mich daher nicht immer seinem Tempo an, was zur Folge hatte, dass sich eine größere Lücke zwischen ihm und mir auftat. Ich rief ihm mehrfach laut „slower“ oder „Patrick“ hinterher, er drehte sich nach mir um.  Ich gab ihm durch meine Gestik sowie meine Worte zu verstehen, langsamer zu machen. Er nahm es auch wahr, dass er teilweise 10-15m vor mir lief und ein „Windschattenlaufen“ für mich nicht gegeben war. Dennoch änderte er nichts an dieser Situation und lief seinen Stiefel einfach weiter. Kilometerabschnitte von 3:04 - 3:09min sah ich auf meiner Uhr. Hinzu kam, dass er orientierungslos war und vor Kurven / Kreuzungen nicht wusste, in welche Richtung wir weiterlaufen müssen. Er nahm somit immer den längeren Weg in Kauf, teilweise auch ich. Das hatte auch mit der verbesserungswürdigen Kennzeichnung der Strecke, zumindest für die Läufer an der Spitze, zu tun. Darum rief ich ihm ab Kilometer 7 immer zu, in welche Richtung er laufen muss.

Ich fragte ihn auch, ob er mich verstehe und er entgegnete mir: „Yes“ freute sich und beschleunigte. Für mich kam ein gewisses Unverständnis, Aufregung und Verzweiflung auf, da ich nicht verstehen konnte, warum er das Gegenteil von dem machte, was ich ihm sagte.

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Im Vordergrund mein Tempomacher Patrick, dahinter Daniel Berye Yebekal, mit etwas Abstand ich sowie Dawit Kebede

 
Demzufolge hatte ich mehr mit dem Tempomacher zu tun, als mit mir. Natürlich könnte man jetzt sagen, dann lass ihn laufen und mach dein eigenes Ding. Aber einen Marathon auf Bestzeit alleine zu bewältigen, kostet mental als auch körperlich sehr viel Kraft, welche ich mir eigentlich für die letzten 10km aufheben wollte.

Die Zwischenzeiten für km 10 und 15 waren wie folgt:

31:52min sowie 47:47min.

Kurze Zwangspause

Danach bekam ich Magenprobleme und  sagte meinem Tempomacher, dass ich anhalten muss und er auf mich warten soll. Ich suchte mir ein „ruhiges Fleckchen“, Patrick stoppte auch. Kurz danach sah ich, dass er wieder beschleunigte und den beiden Läufern aus unserer Verfolgergruppe hinterher lief. Ich schrie ihm hinterher stehen zu bleiben, er verlangsamte das Tempo, trabte aber weiter in Laufrichtung.

Nach der kurzen Auszeit nahm ich wieder das gewohnte Tempo auf, holte Patrick wenig später ein und schaute beim nächsten Kilometerschild, was die Zwangspause gekostet hatte. Es waren 20 Sekunden. Zwei Kilometer später holten wir Daniel Berye Yebekal und Dawit Kabede  wieder ein und liefen gemeinsam in Richtung Halbmarathon weiter.

Zweimal musste ich bis zu dieser Stelle auf meinen Pacemaker einwirken, da er trotz des vor ihm abbiegenden Führungsfahrzeuges  geradeaus weiterlaufen wollte. Ich schrie ihn wieder an, dass er rechts laufen muss, weil er den falschen Weg genommen hat. Er sprintete wieder hinter mir her, überholte mich und lief erneut davon.

Vor dem Rennen hatte ich mir die geplanten Zwischenzeiten notiert und als „Armband“ an meiner rechten Hand fixiert. So konnte ich immer verfolgen, wie ich in der von mir vorgenommenen Zeit liege und was dies für meine Endzeit bedeutete.

Nach der Hälfte genau in der geplanten Zeit

Für die Hälfte der Strecke hatte ich 67:52min eingeplant. Erreichen konnte ich diese trotz der Zwangspause in 67:53min, fühlte mich noch immer locker und konzentriert, auch wenn ich bereits einige Nerven liegen gelassen hatte. Die zweite Streckenhälfte war aber die deutlich anspruchsvollere. Insgesamt mussten 180 Höhenmeter überwunden werden.

Nach 26km wurde Patrick nach meinem Gefühl deutlich langsamer. Ich merkte es an meinem Laufschritt, da dieser nun kürzer wurde, als ich es wollte und immer kurz abbremsen musste, weil  ich ihm sonst auf die Fersen getreten wäre. Ich rief ihm zu, schneller zu laufen, vergeblich. Dies erwiderte ich mehrfach, ohne Veränderung. Meine Polar V800 gab mir bei dem kommenden Kilometerschild recht, als diese 3:24min für die letzten 1000m anzeigte. Kurz danach lief mein Pacemaker an den Straßenrand und beendete seine Arbeit vorzeitig, obwohl er bis 35km vorgesehen war. Nun hieß es für mich, die verbliebenen 14km mit meinen beiden Mitstreitern gemeinsame Sache zu machen und zu hoffen, so wenig Zeit wie möglich bis ins Ziel zu verlieren.

Auf der Strecke
In Aktion

 
Ich übernahm die Tempoarbeit, die beiden Läufer in meinem Sog laufend. Ich wollte, dass wir uns in der Führungsarbeit abwechseln, damit jeder profitierte. Das geschah leider nicht und so lief ich weiter von vorn. Bei Kilometer 30, welchen ich in 1:37:11h erreichte, stellte ich fest, dass ich bereits 41 Sekunden hinter meinem Zeitplan zurück lag und der schwierigste Teil der Strecke noch kommen sollte. Einen weiteren Kilometer später an der Verpflegungsstation forcierte Daniel Berye Yebekal durch das lautstarke Zurufen seines Trainers Winfried Aufenanger das Tempo und riss eine kleine Lücke zu mir. Ich blieb gefasst, da ich nun nicht überziehen und mir lieber die Kräfte für die nächsten Kilometer aufsparen wollte. Innerhalb der kommenden 4km mussten nämlich 70 Höhenmeter absolviert werden.

Ich merkte, dass der Abstand zu Yebekal nicht größer wurde. Nun machte ich Druck, zog mich an ihn heran, gleichzeitig musste Dawit Kabede mich ziehen lassen. Ich erreichte Yebekal im Anstieg und zog direkt an ihm vorbei. Ich merkte, dass er sich gleich an meine Fersen heftete und mein Tempo aufnahm, welches bei 3:17-3:25min für den Abschnitt lag.

Direkt am Geländeübergang blies mir ein starker Wind entgegen und wirbelte mir Plastikbecher und Tüten entgegen, dennoch versuchte ich die Schrittfrequenz zu erhöhen und lief ab diesem Zeitpunkt allein dem Ziel entgegen. In Sichtweite konnte ich den ersten zurückgefallenen Kenianer der Spitzengruppe sehen. Schnellen Schrittes kam ich Elisha Rotich näher und überholte ihn. Ich schaute auf die Uhr, rechnete die Endzeit hoch und wusste, dass es durch die Vorkommnisse keine 2:16h mehr werden wird, ich aber meine Bestzeit verbessern kann, wenn ich nun voll durchziehe. Ich biss auf die Zähne und kämpfte gegen jede Sekunde. Ich merkte, dass ich mir meine Kräfte gut eingeteilt hatte, da ich noch Power in den Beinen hatte. Aber mir fehlte ein Mitläufer, der mich pushte und die 1-2% aus mir herauskitzelte, welche ich alleine nicht aufbrachte.

Dieses Gefühl  kenne ich sehr gut.  Bei Tempoeinheiten auf der Bahn merke ich immer wieder das Phänomen, was für eine Zeitersparnis man bei gleichem Aufwand hat, wenn man nicht alleine sondern zu zweit oder in einer Gruppe die Einheit bewältigt.

Neue Bestzeit und bester Deutscher in Kassel, dennoch Luft nach oben

Auf dem letzten Kilometer standen viele Zuschauer, welche mich bejubelten, ich grinste kurz und bog dann ins Auestadion zu Kassel ein. Die letzten 300m im Stadion konnte ich die Stimmung aufsaugen, sah auf einmal den Drittplatzierten vor mir, beschleunigte weiter, konnte ihn aber nicht ganz erreichen. Nach 2:17:22h lief ich als Gesamt-Vierter und bester Deutscher ins Ziel. Sieger wurde Kiprotich Kirui in 2:14:12h. Nach Beendigung der Frühjahrssaison im Marathon liege ich mit meiner Zeit aus Kassel in der Deutschen Bestenliste 2015 auf Platz 2!

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Geschafft in neuer Bestzeit von 2:17:22h

 
Mit meiner Leistung war ich im Ziel nur bedingt zufrieden.

Positiv war, dass es eine neue persönliche Bestzeit für mich bedeutete, ich eine konstante Entwicklung meiner Marathonergebnisse in den letzten Jahren unter Beweis stellen konnte und mich trotz der Probleme durchgebissen und an mich geglaubt hatte. Auch erreichte ich innerhalb eines Jahres drei Mal eine Zeit von sub 2:18h. Weiterhin hatte ich bereits am Morgen nach dem Marathon wieder lockere Beine, keinen Muskelkater und fühlte mich sehr gut. Andererseits wusste ich aber auch, dass das Rennen für mich eher katastrophal war, bedingt durch meinen Magen und die Widrigkeiten mit dem Tempomacher. Ich weiß, dass ich noch genügend Luft nach oben habe und irgendwann wird das Rennen kommen, wo alles zusammen passt. Das lässt mich positiv auf den Herbstmarathon und die Vorbereitung hierfür blicken!

Vielen Dank für Eure Unterstützung

Nicht vergessen möchte ich meine Fans, um Danke zu sagen für das Daumendrücken, die positiven Nachrichten von Euch und die Verfolgung meines sportlichen Werdegangs. Ich freue mich auf ein weiteres gemeinsames Miteinander! Des Weiteren möchte ich Danke an meine Eltern sagen, welche LIVE vor Ort waren und mich seit meiner Kindheit in allen Bereichen unterstützen sowie meinem unbedingtem  Willen,  Sport auszuüben,  immer nachgekommen sind.  Dank gebührt auch meiner Freundin Katrin, welche mich wieder mit dem Rad begleitete und mir die notwendigen Trinkflaschen an den Stationen perfekt überreichte, was nicht einfach ist. Ebenfalls dem gesamten Physio4me- Team aus Erfurt, welches  mich in meiner strapaziösen Vorbereitung mit meiner Verletzung optimal versorgten und ein Training auf höchstem Niveau ermöglichte. Allen voran mein Physiotherapeut Philip Dedekind, welcher keine Kosten und Mühen scheute, um mich nach Kassel zu begleiten und optimal auf meinen Wettkampf vorzubereiten.

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Mein tolles Team!

 
Abschließendes Danke an meinen Verein, meine Sponsoren und meinem Arbeitgeber der Thüringer Polizei für die Gewährleistung der notwendigen Rahmenbedingungen.

Das alles macht für mich ein Team aus und ebnet den Weg für ein erfolgreiches Abschneiden.

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